Montag, 20. August 2012

"INSIDE NSU - Details aus der Anklage!" - Was die Bundesanwaltschaft Zschäpe, Wohlleben und Em*ng*r vorwirft! - Teil 6a


(ZONO Radio Jena) - Im November 2012 wird die Bundesanwaltschaft dem Bundesgerichtshof ihre Anklage gegen Beate Zschäpe als Mitglied der rechtsradikalen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" / "NSU" vorlegen; eine weitere Anklage gegen Ralf Wohlleben als Unterstützer des "NSU" folgt noch im Jahre 2012.

Sechs Wochen lang berichtete ZONO Radio Jena in seinem lokalen Hörfunkprogramm und auf "Lichtstadt.Netz" über den Abschluss der Ermittlungen, listete Details der einzelnen Anklagepunkte auf und gab den chronologischen Ablauf der "NSU"-bezogenen Ereignisse ab Januar 1998 wieder. Im letzten Teil ist es heute...


"INSIDE NSU" - Teil 6a
Januar 2008 bis September 2011: Ein fast ganz normales Leben
(zusammengestellt von Tim Schwarz)

Anfang 2008: Obwohl die Ermittler Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe / BMZ sowohl in der Bankraubserie, bei den Ceska-Morden an neun Migranten als auch dem Mord an der Polizistin Michelé Kiesewetter und dem Mordversuch an ihrem Kollegen Martin Ahlendorf* intensiv auf der Spur sind, gelingt es ihnen nicht, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Taten herzustellen. Und sie haben darüber hinaus an dem, ursprünglich steckbrieflich gesuchten, Neonazi-Trio BMZ offensichtlich jegliches Interesse verloren.

Die drei früheren "Bombenbastler aus Jena" (= Zeitungsmeldung) und jetzigen Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" / "NSU" haben zehn Jahre nach ihrem Untertauchen im ehemaligen Siedlerheim in Zwickau-Weißenborn ein neues Domizil gefunden, das sie für ihre Zwecke umfangreich ausbauen. Der Grund: nach Überfällen auf Geldinstituten, der Serie von Morden an Ausländern, zwei Bombenanschlägen und einem mißglückten Doppelmord an Polizisten, wollen es die Drei in den nächsten Jahren etwas ruhiger angehen lassen.

In der Frühlingsstraße 26 im Zwickauer Norden lassen Uwe Mundlos/ M und Uwe Böhnhardt / B eine Wand einreißen und bauen Schallschutz für einen Sportraum ein, denn genau unter der Wohnung liegt eine beliebte griechische Gaststätte. Dies ist zwar eine ideale Tarnung für den Ausländerfeindlichen "NSU", aber im Grunde soll die gesamte Wohnung eine Festung werden.


Böhnhardt und Mundlos / BM ersetzen die Eingangstür und lassen im Keller eine Stahltür einhängen. Vor der Haustür und der Kellertür installieren sie je einen Bewegungsmelder, in den Blumenkästen vor dem Küchenfenster ist eine Überwachungskamera mit Blick auf den Hauseingang; zwei weitere Kameras entdecken die Ermittler später im Bauschutt der ausgebrannten Wohnung. Außerdem einen Recorder der die Bilder der Kameras aufzeichnen kann. Der Grund ist einfach: BMZ besitzen Dutzende Waffen, vom kleinen Revolver über eine Handgranate bis zu abgesägten Pumpguns, wollen zudem im Keller Munition und große Mengen an Schwarzpulver-Sprengstoff lagern

Die neue Wohnung in der Frühlingsstraße besteht aus den zwei vorherigen Wohnungen, die spiegelverkehrt um den Hausflur herum angeordnet waren; die Trennwand zwischen den beiden mittleren Wohnzimmern wurde entfernt. Jetzt hat die neue Wohnung zwei Bereiche: einen offiziellen Teil für den Kontakt mit der Außenwelt, in dem man auch schon mal Gäste aus der Nachbarschaft empfängt, und einen versteckten Bereich, dessen Zugang mit einer beweglichen Garderobe verstellt ist. In diesem Teil der Wohnung befindet sich unter anderem ein großer Wohn- und Sportraum (der überwiegend von B und Z genutzt worden ist) und ein Wohnraum mit Computer-Arbeitsplatz (den hauptsächlichl M nutzte).


Im Flur der konspirativen Wohnung (= Flur 2 auf der Abbildung oben) steht ein Waffenschrank, im Keller entdecken die Ermittler Werkzeuge zur Reparatur von Waffen, dazu Lebensmittelvorräte, teure Treckingräder und Mountainbikes.Und im Keller gibt es ein Depot mit Munition sowie größeren Mengen an Schwarzpulver. Die Fahnder stoßen sogar in der Wohnung auf eine selbstgebaute Holzkiste mit Schallschutzdämmung und einer Langwaffe mit gekürztem Schaft - durch einen Eingriff hätte der Schütze feuern können, obwohl z. B. ein SEK beim Eindringen in die Wohnung keine Waffe entdeckt hätte.

Im Mai 2008 kommt die SoKo "Bosporus" den Mördern endlich dicht auf die Spur. In einem vertraulichen Bericht kommt man zu dem Ergebnis, dass man sich von nun ab auf die Gemeinsamkeiten der einzelnen Taten konzentrieren sollte. In vier der neun Morde sind die Täter auf Mountainbikes geflüchtet, in Nürnberg, München und Dortmund haben Zeugen die beiden Täter näher gesehen. Es seien junge Männer gewesen, mit Basecaps und Rucksäcken. Eine Zeugin aus Nürnberg, der die VIVA-Videoaufzeichnung des Kölner Bombenanschlags vorgeführt wurde, meint, in den beiden Kölner Tätern auch die Nürnberger Täter erkannt zu haben. In ihrem Bericht kommt die SoKo sogar zu dem Ergebnis, dass "aufgrund der Opferauswahl (...) und der Verwendung von Fahrrädern (...) ein Zusammenhang zwischen den neun Morden (Anm.: und dem Bombenanschlag) nicht ausgeschlossen werden " könne. Aber noch immer denkt man nicht an einen rechtsradikalen Hintergrund, vermutet weiter organisiserte Kriminalität in Ausländerkreisen hinter den Taten.

Zur gleichen Zeit ziehen BMZ in die Frühlingsstraße 26 in Zwickau ein. Ihren Nachbarn stellt sich Z als Susann Dienelt vor und sagt, ihr Bruder hätte die Wohnung für sie und ihren Freund "Gerry"  gemietet. Der sei nun mitsamt seines Bruders "Max" eingezogen. "Kompliziert", sei es, aber es sei "nun mal so", erklärt Liese den neuen Nachbarn.

Und die lernen "Gerry" gleich richtig kennen. B beschwert sich immer wieder beim Vermieter, am Telefon und auch schriftlich. Er beklagt den Gestank, der vom griechischen Restaurant im Erdgeschoss hochzieht, schimpft über undichte Kacheln und das Wasser, das nicht warm werde. Direkt unter Bad und Küche des "offiziellen" Teils der Wohnung befindet sich die Toilette der Gaststätte. In einem Winter platzt eine Wasserleitung, die Wohnung wird feucht und kalt. BMZ brauchen einen Heizlüfter.

Ab April 2007 gibt es für BMZ keine Überfälle mehr, keine Attentate, keine Morde. Doch wie sieht in den kommenden Jahren der Alltag der drei Terroristen aus? Der geringe Wasserverbrauch lässt darauf schließen, dass sie oft unterwegs waren, meinen die Ermittler der "Besonderen Aufbauorganisation Trio" / "BAT" des Bundeskriminalamtes. Man nimmt an, dass sie oft herumgereist sind, sehr wahrscheinlich Freunde besucht haben.

Erschwert wird die Detailsuche der Jahre 2008 bis 2011 durch den Umstand, dass der jahrelange Autovermieter von BMZ seit dem Vorfall im April 2007, als er bis nach Heilbronn fahren musste, um sein Wohnmobil zurück nach Chemnitz zu holen, keine weiteren Fahrzeuge mehr an die Drei verliehen hat. Für die Zeit danach hat man nur zwei Autovermieter ausfindig machen können, bei denen B und M eindeutig ein Fahrzeug angemietet haben, bei drei weiteren waren sie mit großer Sicherheit Kunde.

Auch 2008, 2009 und 2010 machen BMZ wieder ausgiebig Sommerurlaub auf ihrem Fehmarner Stamm-Stellplatz Nr. 80 - der Campingplatz "Wulfener Hals" scheint ihnen inzwischen ans Herz gewachsen zu sein, die Camperfreunde mögen sie nicht missen. 2009 zum Beispiel sei das Wiedersehen nach einem Jahr besonders herzlich ausgefallen, erzählen ihre Bekannten vom Campingplatz. "Max", "Gerry" und "Liese" schmissen eine kleine Party für die alten Mitcamper.  

Mindestens ein Mal war neben B auch Z (mitsamt eines bislang nicht näher identifizierten Kindes) bei der Anmietung von Wohnmobilen mit dabei, sorgte so für das Bild einer Famile, die auf Urlaub gehen will. Z pflegt zudem die Sozialkontakte, besucht Susann Em*ng*er und hütet deren Kinder, bekommt von ihr regelmäßig Besuch; auf einer "NSU"-Festplatte sind noch viele private Dateien von AE und dessen Frau enthalten.

Z besucht aber ihrerseits auch alte Freundinnen in der Zwickauer Polenzstraße. AE bastelt derweil mit M an der Endfassung des "NSU"-Videos, hat beruflich mit seiner Firma für Mediengestaltung allerdings weniger Glück und muss sie aufgeben. Einen Titel für den Propagandafilm hat M mittlerweile gefunden: passend zur Wohnung in der "Frühlingsstraße" heißt es nun "Frühling". Doch werden die teuren HighTech-Computer in der Frühlingsstraße nicht nur für Propaganda-Zwecke genutzt.

B und M holen sich ihren "Kick" nun nicht mehr in realen Morden und Überfällen sondern kämpfen virtuell. B spielt unter dem Namen "Gerri Mat" nach wie vor leidenschaftlich "World Of Warcraft", verbringt Dutzende Stunden online am Computer; seine Charaktäre haben jeweils das höchste Spiellevel erreicht.

Auch M spielt leidenschaftlich gerne im Internet mit anderen Spielern. "Heatseeker" ist sein Nickname und er verabredet sich mit Thomas Westerbroer, einem der weltbesten "Counter Strike"-Spielern im "TeamSpeak", wobei sie sich oft und lange über Strategien und Spielzüge austauschen. Westerbroer scheint M imponiert zu haben, vergisst alle Vorsicht und schickt ihm sogar ein Foto von sich. Ab 2010 verabreden sie sich für beinahe jeden Abend von 19 Uhr bis 23 Uhr 30 zum Gedankenaustausch im Chat.

Januar 2010: Seit über zehn Jahren nutzt M inzwischen die "Max"-Identität von Max-Florian Bu., dem ehemaligen Freund von Mandy Struck / MS. Obwohl der Reisepass inzwischen abgelaufen ist, lässt er den Kontakt zu ihm nicht abreißen. Einmal besuchen er und B den Helfer, beglückwünschen ihn zu dessen beiden Söhnen, übergeben ihm für seine Kinder zwei Sparschweine mit jeweils 100 Euro. Ein anderes Mal schicken sie ihm ein Plüschkrokodil, mit fiktivem Absender: es kommt aus der "Panzergeneral-Straße" in Chemnitz, was Max-Florian Bu. als Anspielung auf ein Computerspiel versteht, das sie 1998 in Chemnitz gemeinsam gespielt hatten.

Im Mai 2011 fahren BMZ ein letztes Mal zu Holger Gerlach / HG, der  in der Umgegend von Hannover lebt. Erneut stehen sie unangemeldet vor seiner Tür, bitten HG nochmals darum, einen Reisepass für Bs "Gerry"-Identität ausstellen zu lassen, weil der erste bald auslaufe. HG zögert, hat Angst, so erzählt er es den Ermittlern der "BAT". "Mundi" macht ihm daraufhin klar, es gebe für ihn kein Zurück mehr: "Du hängst zu tief drin. Für ein Kneifen ist es zu spät", hätte M ihm gesagt. "Böhni" schneidet HG die Haare, gibt ihm seine Brille, danach gehen alle zusammen zum Fotografen.Mit den neuen biometrischen Fotos beantragt HG den Pass und erhält ihn auch umgehend. "Gerry" / B nimmt ihn mit und das "NSU"-Trio reist wieder zurück nach Zwickau.


Im Sommer 2011 machen BMZ einen letzten gemeinsamen Urlaub auf Fehmarn. Wieder verwaltet Z das Geld, doch langsam wird es knapp mit den finanziellen Mittel. Von den in Stralsund erbeuteten rund 280.000 Euro sind nur noch wenige 10.000 Euro verblieben. B und M entschließen sich dazu, wieder Geldinstitute zu überfallen. Allerdings wissen sie, dass man ihnen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachen zuletzt dicht auf den Fersen war. Sie rücken deshalb Thüringen in ihr Blickfeld, fahren zwischen Eisenach und Gera hin und her und suchen ideale Orte für zwei oder drei Überfälle innerhalb kurzer Zeit.

Während dieser Zeit im Herbst 2011 ist Z häufig allein in der Frühlingsstraße, so berichtet ein Nachbar später den Ermittlern. Die beiden Männer würden Autos überführen, habe Z ihm die Abwesenheit von BM erklärt. Sie habe jedoch regelmäßig Besuch von einer Freundin und zwei Kindern bekommen: Susann Em*ng*r.

* = der Name wurde geändert!

|Fortsetzung in "INSIDE NSU - Teil 6b"]

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