Montag, 16. Juli 2012

"INSIDE NSU - Details aus der Anklage!" - Was die Bundesanwaltschaft Zschäpe, Wohlleben und Em*ng*r vorwirft! - Teil 1


(ZONO Radio Jena) - In wenigen Wochen wird die Bundesanwaltschaft dem Bundesgerichtshof ihre Anklage gegen Beate Zschäpe als Mitglied der rechtsradikalen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" / "NSU" vorlegen; eine weitere Anklage gegen Ralf Wohlleben als Unterstützer des "NSU" folgen noch im Jahre 2012.

Nicht zuletzt Bundespräsident Joachim Gauck forderte bezüglich des "NSU" umfassende Aufklärung. "Die Bürger wollen wissen, was wirklich gewesen ist", sagte Gauck vor kurzem in Eisenach. Doch was sind die Details der Anklage? Was wirft der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Zschäpe, Wohlleben und Em*ng*r vor, welche Beweise werden präsentiert, welche Anklagepunkte stützen sich auf Indizien? Und schließlich: Wie sehr ist das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen in die Taten des "NSU" verstrickt?

Sechs Wochen lang, bis zum 20.08.2012, berichtet ZONO Radio Jena in seinem lokalen Hörfunkprogramm und auf "Lichtstadt.Netz" über den Abschluss der Ermittlungen, listet Details der einzelnen Anklagepunkte auf und gibt den chronologischen Ablauf der "NSU"-bezogenen Ereignisse zwischen Januar 1998 und November 2011 wieder. Heute ist es ...

"INSIDE NSU" - Teil 1
Januar 1998 bis Januar 2001: Die ersten drei Jahre
(zusammengestellt von Tim Schwarz)

Die in Thüringen zu diesem Zeitpunkt als militante Aktivisten der rechten Szene bekannten Uwe Mundlos / in der Folge M genannt, Uwe Böhnhardt  / B und Beate Zschäpe / Z werden am Montag, dem 26.01.1998, Ziel einer lange vorbereiteten Polizeiaktion in Jena.

Die drei sind seit sieben Jahren befreundet und bilden zusammen mit Ralf Wohlleben / RW, Holger Gerlach / HG und Andre Kapke die sog. "Kameradschaft Jena". B hängt im April 1996 einen Puppentorso mit gelbem Judenstern an einer über die A 4 führende Brücke, er und Mundlos / BM bauen Bombenattrappen und deponieren sie u. a. vor verschiedenen Gebäuden und Institutionen in Jena, fallen in der Weimarer Gedenkstätte Buchenwald durch Provokationen und der "Zurschaustellung von NS-Symbolen" auf, fahren in einem roten Ford Escort mit dem "Hitler"-Kfz-Kennzeichen "J-AH 41" zu Demonstrationen oder Gerichtsverhandlungen.

Z hat sie dabei unterstützt, hat u. a. eine Garage nahe der Kleinkläranlage im Stadtteil Jena-Burgau angemietet, in der kein Auto steht, in der jedoch an Bomben und Waffen gebastelt wird. Zwei Tage vor der Polizeiaktion im Januar 1998 haben alle Drei noch an einer Demonstration der NPD gegen die Wehrmachtsausstellung in Dresden teilgenommen.

Im Zuge der Razzia vom 26.01.1998 gegen die "Bombenbastler aus Jena" (= so ein Pressezitat von 1998) durchsuchen Polizeikräfte mehrere Garagen in Jena und entdecken in Zs Garage in Burgau die BMZ Bombenwerkstatt. Dort werden u. a. fünf funktionsfähige Rohrbomben ohne Zünder und insgesamt 1.400 Gramm TNT sichergestellt, dazu Waffen und NS-Utensilien, u. a. ein Bildnis von Rudolf Hess und Zeitschriften wie etwa "Der weiße Wolf".

Nur wenige Monate später erwerben Neonazis, unter ihnen RW, im Jenaer Stadtteil Alt-Lobeda das sog. "Braune Haus", das zu einem Treffpunkt der deutschen Neo-Nazi-Szene wird. Es ist nur wenige Hundert Meter von dem Garagenkomplex entfernt, in dem sich 1998 die Bombenwerkstatt befunden hatte.


Noch bevor die Staatsanwaltschaft Gera Haftbefehle gegen das Trio erlässt, können BMZ untertauchen. Wie B später seinen Eltern berichtete, wurde er am 26.01.1998 von einem Angehörigen der an der Razzia beteiligten Polizeikräfte von dem Erlass des bevorstehenden Haftbefehl unterrichtet, als diese die von ihm gemieteten Garagen kontrollieren, in denen allerdings nichts Verdächtiges gelagert ist.

B weiß jedoch, dass es an diesem Tag nur noch eine Frage von wenigen Stunden oder sogar Minuten ist, bis die Polizei fündig werden wird. Nachdem er mit seinem roten Hyundai vor den verdutzten Polizeibeamten geflohen ist, ruft er Z an und die telefoniert sofort mit B, der in Ilmenau ist, dort alles stehen und liegen lässt und mit seinem Ford Escort über zwei Autobahnen nach Jena rast. Fast eine Stunden braucht er hierfür, dann treffem sich die drei Freunde und verstecken sich bei einem Freund. Es ist davon auszugehen, sagt die Thüringer Polizei später, dass die Drei feste Absprachen für Abläufe vereinbart hatten, für den Fall, dass sie als "Bombenbastler" auffliegen sollten.

Mit Hilfe von RW fahren die drei Untergetauchten am Sonntag, den 01.02.1998 mit einem PKW nach Chemnitz; den Hyundai und den Ford lassen sie in Jena zurück. "Blood And Honour"-Aktivist Thomas St., ein Vertrauter von Z, der mit ihr nach eigenen Angaben eine Zeit lang liiert gewesen war (zudem derjenige, der den "Bombenbastlern" das TNT besorgt hatte), verschafft den Dreien einige Wochen lang in Chemnitz unterschiedlichen "Pennplätze". Dann spricht er Mandy Struck / MS an, ein damaliges Mitglied der rechtsradikalen Szene in Sachsen, ob sie BMZ eine Zeit lang Unterschlupf geben könne. Dann spricht er Mandy Struck / MS an, ein damaliges Mitglied der rechtsradikalen Szene in Sachsen, ob sie BMZ eine Zeit lang Unterschlupf geben könne.

Weil sich in der Wohnung von MS in der Regel deren Freund Max-Florian Bu. aufhält (ein Neuling in der lokalen Skinheadszene, noch nicht von den anderen Chemnitzer Skins anerkannt und deshalb auf der Suche, nach einem "Kick", nach einer Tat, mit der er sich beliebt machen kann) und dessen Wohnung in der Limbacher Straße 96 aus diesem Grund leer steht, gestattet er BMZ, sich dort zu verstecken. Das bringt ihm, "Max", die gewünschte Anerkennung.

Zum Einzug am 05.03.1998 bringen BMZ einen Computer und einen Drucker mit, die sie ins Schlafzimmer stellen. Als später die Beziehung zwischen MS und ihrem Freund in die Brüche geht, kehrt Max-Florian Bu. wieder in seine Wohnung zurück, zieht selbst in das Schlafzimmer, während das Trio im Wohnzimmer lebt. Z bekocht dabei die drei Männer.

Ein halbes Jahr auf der Flucht, untergetaucht im Chemnitzer Untergrund, so gut wie nie die Wohnung verlassend, bitten BMZ Max-Florian Bu. um einen Gefallen. Da dieser ungefähr die selbe Größe und ein ähnliches Gesicht wie M hat, soll Max-Florian Bu. Passbilder von M nehmen und bei der Stadtverwaltung Chemnitz einen Reisepass für sich ausstellen lassen. Erneut ist sich "Max" sicher, dass ihm das Anerkennung bringen wird und er willigt ein.

Der Bearbeiterin der Meldestelle fällt dabei nicht auf, dass die Passbilder und Bu.s Aussehen nicht übereinstimmen und so wird dort am 07.09.1998 ein offizieller Reisepass mit den persönlichen Daten von Max B. und dem Foto von M ausgestellt. Max-Florian Bu. gibt es nun doppelt und M wird den Decknamen "Max" bis zu seinem Tod weiterführen.

Ab Herbst 1998 kann sich M, trotz der seit Januar laufenden Fahndung, auch außerhalb des Altbaus freier bewegen und versucht die Ideologie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" voranzutreiben. Er schreibt Artikel für rechte Zeitschriften und entwirft Layouts.

Im Oktober 1998 erscheint in der Skinhead-Zeitschrift "White Supremacy" auf Seite 26 ein anonymer Text mit der Überschrift "Gedanken zur Szene", der laut der Anklagebehörde M zuzuordnen ist. Es wäre somit das erste nationalsozialistsiche Pamphlet von BMZ aus dem Untergrund, ein Vorwurf uber (Zitat) "die Disziplinlosigkeit vieler Kameraden", die "nicht den Kampf zum Lebensinhalt" hätten, "sondern das Vergnügen". M empört sich auch darüber, dass die Kameraden (Zitat) "'Keine Macht den Drogen!' fordern und hängen doch selbst an der Flasche und würden keinen Tag ohne Alkohol überleben".

Auffallend ist, wie oft M in dem Artikel das Wort "Kampf" benutzt: acht Mal. "Wer nicht bereit ist, sich aktiv am Kampf zu beteiligen", schreibt er, unterstütze alles, "was sich gegen unser Volk und unser Land und unsere Bewegung richtet". Die Bundesanwaltschaft wird belegen, dass M die Zeit in der Wohnung von Max-Florian Bu. dazu nutzt, Artikel zu schreiben und am PC Ideen auszuarbeiten, wie BMZ im UNtergrund Geld verdienen können, denn daran mangelt es dem Trio vor allem. M selbst zeigt sich - obwohl sein Name oder der des "NSU" in dem Pamphlet nicht genannt werden - kampfbereit, entschlossen, einem Ziel verpflichtet.

RW und Andre Kapke organisieren deshalb in der Folge Geld für BMZ, RW beschafft ihnen sogar eine Schusswaffe nebst Munition, die Carsten Sch. (ein weiterer Jenaer Bekannter des Trios) im Auftrag von RW nach Chemnitz bringt und dort in einem McDonalds Restaurant an BMZ übergibt. Die Waffe ist aus tschechischer Produktion und hat eine Besonderheit: der mitgelieferte Schalldämpfer kann aufgeschraubt werden, so dass sich ein Schuss aus dieser Waffe nicht mehr nach einem Schuss anhört sondern eher wie das Zerplatzen eines Luftballons. Erworben hat sie Andreas S. im Auftrag von RW im "Madley", einem Szeneladen in der Jenaer Wagnergasse, in dem es nicht nur die rechte Kleidung gibt sondern auch so etwas: 2.500 DM hat Wohlleben die Browning der Marke Ceska gekostet.

Genau diese Waffe, die RW bestellte, die S. kaufte und die Carsten Sch. nach Chemnitz gebracht und am BMZ übergeben hat, wird die Ermittler bundesweit mehr als ein Jahrzehnt lang beschäftigen. RW wird von der Anklagebehörde in seinem Verfahren vorgeworfen werden, dass er von der Verwendung dieser Waffe durch B und M wusste und damit auch von den verschiedenen Tötungsdelikten, die damit begangen wurden. Kann RW dies bewiesen werden, droht ihm eine lebenslange Haft wegen Beihilfe zum mehrfachen Mord.

Doch die Forderungen des Trios werden im Herbst 1998 anspruchsvoller. Wie der Anklageschrift zu entnehmen ist, verlangen sie von RW die Organisation von Motorrädern, Papieren, Geld und weitere Waffen. Doch das ist mehr, als RW ihnen beschaffen kann, selbst wenn er bei rechten Konzerten, wie dem "Fest der Völker", das RW noch bis 2005 organisieren wird, Geld für "die im Untergrund lebenden" einsammelt.

BMZ wird dadurch klar, dass sie ihr Leben, ihre Sache selbst in die Hand nehmen müssen. Nachdem sie Ende September 1998 bei Max-Florian Bu. ausgezogen waren, wohnen alle drei zwischen September 1998 und April 1999 in einer anderen Chemnitzer Wohnung. Am Freitag, den 18.12.1998, überfallen B und M mit der von RW vermittelten Waffe einen EDEKA-Markt in Chemnitz, geben dabei zwei Schüsse ab und rauben rund 30.000 DM. Nun sind sie solvent und können alles Weitere in Ruhe planen, wollen eine eigene Wohnung, in der sie machen können, was immer sie wollen.

Deshalb ziehen sie ein gutes Jahr nach ihrem Untertauchen an den südwestlichen Rand von Chemnitz in die Plattenbausiedlung "Hutholz". In der ersten Etage eines sechsstöckigen Häuserblocks in der Wolgograder Allee 76 mieten sie ab dem 16.04.1999 eine 2-Raum-Wohnung; den Mietvertrag unterschreibt André Em*ng*r / AE, ein anderer Bekannter von MS. AE und MS kennen sich aus der rechtsradikalen "Brigade Ost", die sich an der tschechischen Grenze gebildet hat und beide sind wiederum mit Matthias Dienelt / MD befreundet, der wenige Monate später im nahegelegenen Zwickau eine weitere Wohnung für BMZ anmieten wird; AE und MD kommen beide aus Zwickau.

Im Gegensatz zu MD und Max-Florian Bu. ist AE ambitionierter, was den Kontakt, die Unterstützung und die Pläne von BMZ angeht. Schon die Tätowierung auf seiner Brust "Die Jew Die" ("Sterbe Jude Sterbe") spricht für sich und er wird von nun an alles für das Trio tun, was für deren Arbeit notwendig ist. AE mietet Wohnungen und Autos an, begleitet Z zur Polizeivernehmung, besorgt BMZ Papiere, trifft sich regelmäßig mit dem Trio.

Seine Frau Susann wird sich mit Z anfreunden, sie oft besuchen, überlässt Z sogar die eigenen Kinder zum Babysitten. Die Fotos der Schwangerschaft von AEs Ehefrau hat Z auf der Festplatte des (in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung in der Frühlingsstraße aufgefundenen) "NSU"-PCs in einem Unterordner abgelegt, in dem sich auch die im "NSU"-Video "Frühling" enthaltenen Fotos der Dienstwaffe der in Heilbronn erschossenen Polizistin befinden: offensichtlich ein entscheidendes Beweisstück der Bundesanwaltschaft gegen AE, denn auch Dateien seines Zwillingsbruders Maik finden sich dort. Aber noch mehr verbindet Z und AE: sie ruft ihn nach dem Tod von BM an und AE wird für Z da sein und ihr helfen, zu flüchten.

Im Sommer 1999 entstehen, so wird es die Bundesanwaltschaft vortragen, in der Wohnung in der Wolgorader Allee bei BMZ Idee und Ideologie eines "Nationalsozialistischen Untergrunds" mit dem Ziel "Taten statt Worte" (siehe das "Mainfest des NSU" rechts / zu Vergrößern bitte anklicken). In Anwesenheit von Ralf Wohlleben und Holger Gerlach diskutieren BMZ darüber. Es geht dabei auch um den bewaffneten Kampf. Wohlleben und Gerlach sprechen sich dagegen aus, neben BM ist auch Z für den Waffeneinsatz gegen "Feinde"; der "NSU" gründet sich deshalb, nach der Aussage von Gerlach, nur aus "Böhni", "Mundi" und Z. Doch der "NSU" braucht für seine geplanten Aktionen dringend Geld.

Am Mittwoch, den 06.10.1999 fahren BM um 16 Uhr 45 zu einer Postbank-Filiale im Chemnitz, rauben knapp 5.800 DM und flüchten auf einem grünen "Simson"-Moped. Exakt drei Wochen später überfallen sie nochmals in Chemnitz eine andere Postfiliale und rauben dort rund 62.800 DM. Um nicht erkannt zu werden, tarnen sich BM bei diesen beiden Überfällen mit Hilfe von Perücken, die Ihnen Friseurlehrling MS besorgt hatte, als sie sich bei ihr und Max-Florian Bu. versteckt hatten.

Etwa zwanzig Monate leben BMZ zu dieser Zeit bereits im Untergrund, ohne dass die Ermittler sie festnehmen können. Sie haben rund 98.500 DM erbeutet, sich mit Waffen versorgt, einen neuen Computer besorgt, sich selbst radikalisiert und den "Nationalsozialistischen Untergrund" gegründet. Doch die Geldbesorgung ist noch keine wirkliche Aktion des "NSU", sondern lediglich Mittel zum Zweck.

In dieser Zeit kommt es zu einem ersten konspirativen Treffen von BMZ mit Brigitte und Jürgen Böhnhardt. Die Eltern von B hatten ein Zettel in ihrem Briefkasten gefunden, waren nach Chemnitz gefahren, erhielten dort einen Telefonanruf und trafen sich mit BMZ in einem Park. Sie sei vor allem froh gewesen, alle drei gesund wiederzutreffen, sagt Brigitte Böhnhardt später.  Den Wunsch von Bs Eltern, ins legale Leben zurückzukehren, lehnen BMZ ab. Vor allem M hat andere Pläne, als ins Gefängnis zu gehen: "Sieg oder Tod" ist die Devise, die er für seinen "Nationalsozialistischen Untergrund" ausgegeben hat.

Nicht lange nach dem Treffen klingelt die Polizei an der von AE angemieteten Wohnung von BMZ in der Wolgorader Allee 76. Allerdings nicht, weil Bs Eltern etwas verraten haben oder wegen der Raubüberfälle auf die Postfillialen oder den EDEKA-Markt: der Eintrag im Auftragsbuch der Chemnitzer Polizei ist banaler. Nachbarn hatten sich beschwert, weil sie den Lärm aus einer der Wohnungen leid waren. Es seien rechte Lieder gegrölt worden und auf einen Balkon unter der Wohnung waren Zigarettenkippen gefallen. Ob der Lärm tatsächlich aus der BMZ-Wohnung kam, blieb damals unklar und die Polizeibeamten beließen es bei einer Ermahnung an die Mieter.

Doch BMZ hatten damals tatsächlich öfters Gäste in ihrer Wohnung und man feierte. Neben RW war auch HG ab und zu in Chemnitz. HG - der offensichtlich Zeuge der Anklage in den Verfahren gegen Z und RW sein wird - hat der Bundesanwaltschaft berichtet, man habe gemeinsam darüber diskutiert, ob die Aktivitäten der Untergetauchten auf Banküberfälle beschränken sollen. Glaubt man ihm, dann hat es Anfang 2000 zwischen ihm, RW und BMZ etliche Debatten darüber gegeben, ob man "mehr machen" solle. Dabei sei es zu einer Spaltung gekommen: Auf der einen Seite hätten er und RW gestanden, auf der anderen Seite B und M und auch Z. Danach abe man sich kaum nicht mehr in Chemnitz mit BMZ getroffen.

Dieser Aussage HGs wird im Gerichtsverfahren gegen Z eine zentrale Bedeutung zukommen. Bislang argumentieren Zs Anwälte, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, ihre Mandantin habe von den Aktivitäten BMs und dem "NSU" nichts gewusst. Aber die Begegnung mit der Chemnitzer Polizei hat BMZ auch etwas anderes gezeigt. Da nur "Max" sich ausweisen konnte, braucht man für B und Z driungend eigene Papiere.

Und noch einmal wird die Polizei eine Rolle im Chemnitzer Leben von BMZ spielen. Im Mai 2000 wird das Telefon von MS zehn Tage lang abgehört; die BMZ-Zielfahnder haben einen Hinweis bekommen, dass eine Verbindung zwischen ihr und dem Trio bestehen soll. Die Fahnder gehen davon aus, dass sich MS mit B treffen wird und Polizisten nehmen kurz darauf MS und eine männliche Person, auf die Bs Beschreibung passt, fest. Es ist allerdings nicht B, sondern ein anderer Bekannter von MS aus derem äußerst umfangreichen Bekanntenkreis.

Durch die Polizeiaktion in höchstem Maße beunruhigt, entschließt sich M zu einem Wechsel der Stadt. Mit dem Reisepass von Max-Florian Bu. mietet er im Juli 2000 in einem Wohnblock der Zwickauer Heisenbergstraße eine Wohnung, deren Mietvertrag später im Schutt der ausgebrannten Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden wird. HG erklärte vor der Bundesanwaltschaft, es habe zu dieser Zeit Streit gegeben zwischen B und M gegeben, der Grund soll u. a. die Frau des Trios gewesen sein. M, so die Aussage von HG, habe für Z (mit der er einst liiert war) immer noch sehr viel empfunden, doch B hätte ihm klar gemacht, dass Z nun mit ihm zusammen sei. B sei, so HG gegenüber der Bundesanwaltschaft, in seiner Art manchmal sehr bestimmend gewesen, hätte M, der der Intellektuelle des Trios gewesen sei, oft zurechtgewiesen.

Doch es kommt zur Versöhnung. Das Trio mietet mit Hilfe von AE im Sommer 2000 erstmals ein Kfz und fährt zu einem Urlaub nach Usedom. Von dort aus nehmen Bund M Kontakt nach Nürnberg und den dortigen Mitgliedern der "Blood And Honour"-Szene auf, darunter Matthias F., einen weiteren Bekannten von MS und damals Chef der "Fränkischen AKtionsfront". Wieder nach Chemnitz zurückgekehrt mieten BM über AE nochmals ein Wohnmobil an und fahren Ende August 2000 in die Stadt der Reichsparteitage um ihre erste "Aktion" zu planen.

BM spähen während des Aufenthalts in Nürnberg verschiedene Orte in der Stadt sowie der näheren Umgebung aus, an denen es ihnen möglich erscheint, Anschläge zu verüben. Dabei fällt ihnen u. a. der an der Liegnitzer Straße in Nürnberg-Langwasser aufgebaute mobile Verkaufsladen eines Blumenhändlers aus Schlüchtern/Hessen auf (siehe Foto links).

Am 09.09.2000 überfallen BM den Blumenhandel von Enver Şimşek, der an diesem Samstag durch Zufall persönlich in seinem Wagen ist; der Blumenhändler war kurzfristig für einen seiner Verkäufer eingesprungen. B und M geben gemeinsam acht Schüsse auf den Mann ab*, treffen ihn in den Hinterkopf. Obwohl ihr Opfer noch lebt, fliehen BM anschließend mit Mountainbikes durch den Wald neben der Liegnitzer Straße, flüchten anschließend mit dem Wohnmobil über die Autobahn nach Sachsen.

Enver Şimşek wird kurze Zeit später schwer verletzt in seinem Blumentransportwagen aufgefunden, sein Gesicht ist entstellt. Trotz aller Versuche der Ärzte erliegt er zwei Tage später im Krankenhaus den schweren Schußverletzungen, die BM ihm zugefügt haben. Den Mord haben die Männer des "NSU" mit zwei Waffen ausgeführt: einer kurz zuvor aus der Schweiz beschafften Schusswaffe Ceska 83 (Kaliber von 7,65 Millimeter) mit Schalldämpfer sowie mit einer weiteren Pistole mit dem Kaliber 6,35 Millimeter; die bei dem Überfall auf EDEKA verwendete Waffe ist nicht dabei. Allerdings weiß die Bundesanwaltschaft dadurch, dass der "NSU" zu diesem Zeitpunkt bereits über mindestens drei Schusswaffen verfügt haben muss.

Im Oktober 2000 wird die Wohnung von MS in der Chemnitzer Bernhardstraße ein letztes Mal observiert: die Ermittler nehmen an, dass B dort seinen Geburtstag feiern will. Aber auch diese Observation bleibt ohne Ergebnis. Währenddessen wird M die Wohnung in dem belebten Wohnblock in der Heisenbergstraße (Foto rechts) zu unsicher und gemeinsam bereiten BMZ einen Umzug in eine größere Wohnung innerhalb von Zwickau vor. Aber dafür braucht man Möbel also: Geld.Am Donnerstag, den 30.11.2000, überfallen BM in Chemnitz nochmals eine Filiale der Postbank, die sie zuvor bereits einmal überfallen hatten, rauben erneut mehrere Tausend Euro und flüchten wieder auf Fahrrädern.

Kontakte knüpfen BM nun auch über Thüringen und Sachsen hinaus nach Nordrhein-Westfalen und dort speziell nach Köln. Wer in Köln die Kontaktperson für den "NSU" ist, konnte von der Bundesanwaltschaft bisher nicht ermittelt werden. Waffenkurier Carsten Sch. jedenfalls ist zu dieser Zeit noch in Jena wohnhaft, zieht erst 2003 nach Düsseldorf.

Während MD in Zwickau nach einer passenden Wohnung für BMZ (bzw. ein "Hauptquartier" für den "NSU") sucht, beschaffen sich BM in Tschechien Schwarzpulver und bauen in Chemnitz eine Sprengvorrichtung in eine rote Keksdose ein, die sie Ende 2000 in einem iranischen Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse 44 in Köln hinterlassen. Diese Sprengfalle (im "NSU"-Propagandavideo "Frühling" später "Das Bömbchen" genannt) wird jedoch im Jahre 2000 nicht aktiviert; der Ladenbesitzer hat sie ungeöffnet unter den Tresen gelegt, da er annimmt, ein Kunde hätte sie versehentlich vergessen. Erst am 19.01.2001 wird sie geöffnet, wobei die damals 19-jährige Deutsch-Iranerin Masliya M., Tochter des Ladenbesitzers, schwer verletzt wird. Das Fernsehen berichtet groß über den Bombenanschlag in Köln; M startet die elektronische Dokumentation der Aktivitäten des "NSU".

Am 09.03.2001 kurz vor 23 Uhr speichert M auf einem Computer die erste Fassung eines Videos des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Der Film hat noch keinen Titel, dauert zwei Minuten und sechzehn Sekunden und bezieht sich auf den Mord in Nürnberg und auf den Sprengfallenanschlag in Köln vom Januar. In diesem Film, der recht einfach hergestellt worden ist, taucht das "NSU"-Logo mit den drei ineinander verflochtenen Buchstaben auf. Das Video ist mit dem martialischen Lied "Kraft für Deutschland" der Neonazi Band "Noie Werte" unterlegt, in dem es heißt: "Alle, die sich unsere Feinde nennen, die werden wir ewig hassen, und kämpfen werden wir gegen sie, bis sie unser Land verlassen." Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ist sich sicher, dass AE an diesem Video noch nicht maßgeblich beteiligt war, denn der Betreiber einer Videothek und Chef der Zwickauer Firma "Aemedig" für Mediengestaltung und Videoproduktionen war schon damals in der Lage, handwerklich bessere Filme herzustellen.


* = Der Mord am 09.09.2000 wird verübt in der Stadt der Reichsparteitage und es werden acht Schüsse abgegeben ("H" ist der achte Buchstabe im Alphabet und steht für in der rechten Szene für "Hitler"). Am 09.09.1914 hatte Reichskanzler Bethmann Hollweg in seinem sog. "Septemberprogramm" die Kriegsziele für den Ersten Weltkrieg festgelegt.

[Die Fortsetzung in Teil 2 von "INSIDE NSU" folgt am 23. Juli 2012 hier im "Lichtstadt.Netz"]

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