Montag, 14. Mai 2012

Hatte der "NSU" weitere Unterstützer? (Teil 5): Alles bestens organisiert - oder: Wer dem "NSU" Unterschlupf gab, unverdächtige Papiere und ein Zeichentrick-Video

(lsn) ...FORTSETZUNG...

Mandy Struck aus Chemnitz wurde Mitte Februar 1998 von einem Bekannten in einer rechten Szenekneipe mit dem Satz angesprochen: "Kannst Du für einige Zeit Leute unterbringen, die Scheiße gebaut haben". So sagte sie es gegenüber "Welt Online". Diese "Leute" waren damals niemand anders als Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Sie waren gerade untergetaucht, hatten die Tage zuvor noch bei ihrem damals besten Freund (und späteren NPD-Funktionär) Ralf Wohlleben, verbracht, bis Wohlleben jemanden nach Chemnitz schickte, um dort einen Unterschlupf für die Drei zu organisieren.

Ihre damalige Bereitschaft, dem späteren "NSU" helfen zu wollen, erklärte Mandy Struck "Welt Online" so: "Mir wurde gesagt, die drei hätten nichts Schlimmes gemacht. Mal sollen sie eine Hakenkreuzflagge über den Balkon gehängt, mal Nazisprüche skandiert haben. Für einige Wochen sollten sie untertauchen. Weil sich in meiner Wohnung meist mein Freund aufhielt und seine Wohnung deshalb frei war, wurden sie dort untergebracht. Ich habe die Leute, deren Namen ich nicht kannte, da dann nur drei oder vier Mal gesehen." Nachdem sie sich im Frühsommer 1998 von ihrem Freund getrennt hatte, sei "das Kapitel" für Struck abgeschlossen gewesen (siehe Foto rechts: Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos bei einer Demonstration im Januar 1998)

Zumindest dies scheint den Ermittlern jedoch zweifelhaft. Sogar im Gutachten der sog. "Schäfer-Kommission" zum Verhalten der Thüringer Behörden bei der Verfolgung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe taucht im Abschnitt zur Telefonüberwachung oft die Handynummer Mandy Strucks auf, bis in den November 2000...zwischen Gesprächen der Hannoveraner Festnetznummer von Holger G.. Wie "Welt Online" von einem Verfassungsschützer erfahren haben will, soll Struck noch am 6. Mai 2000 mit Böhnhardt in Chemnitz beobachtet worden sein. Damals hatte das MDR-Fernsehen in seiner Sendung "Kripo live" einen Fahnungsaufruf nach den drei untergetauchten Thüringern veröffentlicht und rund um das Sendedatum observierte der sächsische Verfassungsschutz mögliche Kontaktpersonen des Trios observiert. Dabei soll ein Foto von Böhnhardt und Struck entstanden sein und Mandy Strucks Telefon wurde danach abgehört. Nach Angaben von Struck erfolgte daraufhin ein Zugriff der Polizei, doch anders als die Behörden vermutet hatten, fanden sie in Strucks Wphnung nur einen Bekannten von ihr. Eine Verwechslung mit Folgen, denn die Polizei ließ sich danach nie mehr bei Mandy Struck blicken, sagte sie.

Auch das ist nur insoweit richtig, berichtet "Welt Online", als dass nun Sachsens Verfassungsschutz (und dies auf Bitte der Thüringer Kollegen) die Chemnitzer Wohnung von Struck observierte. In einem Appartement gegenüber wurde eine Videokamera aufgestellt, die von Mitte September bis Ende Oktober 2000 lief. Es hatte Hinweise gegeben, so heißt es, dass Böhnhardt am 1. Oktober 2000 seinen Geburtstag in Strucks Wohnung feiern wolle. Das bestätigte sich zwar nicht, aber weshalb, das ist den Verfassungsschüzern erst elfeinhalb Jahre später klar geworden: Auf einer etwa vier Sekunden langen Videosequenz vom 29. September 2000 sind mutmaßlich Böhnhardt und Zschäpe zu sehen, die im Vorbeigehen erst einen Blick auf die Klingelschilder an Strucks Wohnhaus werfen und sich dann umsehen, möglicherweise die Videokamera bemerken. Was die Ermittler nicht wussten: Am 9. September 2000 hatten Böhnhardt und Mundlos in Nürnberg ihren ersten Mord begangen.

Es war der Auftakt einer Mordserie, die noch neun weitere Menschen das Leben kostete. Eine Terrorzelle agierte unbehelligt von Verfassungsschützern und Polizei, die sie angeblich nicht wiedererkennen konnten (siehe Foto links). Mandy Struck beteuert, sie habe nichts von den Verbrechen des Trios gewusst oder auch nur geahnt. Als sie dann erfahren habe, dass Zschäpe unter dem Decknamen "Mandy Struck" aufgetreten war, sei sie "total geschockt" gewesen. Die Behörden glauben ihr iim Wesentlichen. Allerdings gibt es seit Januar 2012 noch ganz andere Hinweise auf die Verwendung ihres Namens.

Ein Thüringer Neonazi namens Gerlach (nicht verwandt und verschwägert mit dem in Haft sitzenden Holger G.) hatte vor Jahren in der Schweiz in geschützten Foren der rechtsnationalen Szene das Passwort "struck-mandy" verwendet. Als dies kürzlich aufgedeckt wurde, begannen Spekulationen, er und Struck seien Helfershelfer des Terrortrios gewesen. Struck hat dies für ihre Person zurückgewiesen, räumt jedoch ein, sei sie früher mit Gerlach befreundet gewesen. Entsetzt ist sie, nach eigenen Angaben, wie sehr sich Zschäpe ihrer Identität angenommen habe. So besaß diese einen auf "Mandy Struck" ausgestellten Mitgliedsausweis eines bayerischen Tennisclubs, im Schutt der ausgebrannten Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau wurde Strucks aktuelle Handynummer gefunden (nebst der Angabe ihres vorletzten Wohnortes)  und auch im Impfpass für Zschäpes Katzen stand "Mandy Struck". Ganz klar: ihre Identität war Beate Zschäpe eine große Hilfe, da beide ein ähnliches Aussehen und die Körpergröße verbindet: Beide sind etwa 1,63 Meter groß.

Schwieriger beantwortet sich die Frage "Wo soll man / kann man eine Grenze ziehen zwischen Freundschaftsdiensten unter Gleichgesinnten und wohlwissender Unterstützung?" bei André E., dem vorgeworfen wird, er habe dem Trio seit dem Jahre 2003 nicht nur Bahncards und andere Legitimationspapiere besorgt, sondern auch an der Erstellung des "NSU"- Propagandavideos mit dem Titel "Frühling" mitgewirkt.

Bei der Frage der Mitwirkung am Video ist André E. "erste Wahl" des BKA. Einige Ermittler halten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sogar für "nicht fähig, einen Film in solch hoher Professionalität" erstellt zu haben. Aber André E. konnte es. Er kannte Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos über seinen Zwillingsbruder Maik und die Kameradschaften "Weiße Bruderschaft Erzgebirge" und "Brigade Ost", war Unternehmer, betrieb im Süden Zwickaus u. a. eine Videothek, einen Onlineshop, die Firma "AE Montageservice" für Solarzellen und die auf ihn eingetragenen Firma "AE Medig" zur Mediengestaltung (oder besser ausgedrückt: der digitalen Bearbeitung und Aufbereitung von Filmen und Videos).
 

Nach Sichtung solcher, von André E. für seine Kunden professionell bearbeiteter Produktionen, wollen die Ermittler auffällige handwerkliche Ähnlichkeiten zum "NSU"-Video entdeckt haben. Zudem wurden im Schutt der ausgebrannten Wohnung in der Frühlingsstraße mehrere "AE Medig"-Werbezettel gefunden.

Alles für ihn kein Problem, wenn Andre E. darlegen könnte, dass er niemals engen Kontakt zum "NSU"-Trio gehabt hätte. Aber genau das ist der Fall. Nicht nur, dass Beate Zschäpe ihn (und niemanden anders) angerufen hatte, als sie am 4. November 2011 die "NSU"-Wohnung in Zwickau Brand gesetzt und ihre tagelange Flucht durch Deutschland begonnen hatte. Oft hatten E. und dessen Frau Susann in den zurückliegenden Jahren Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe besucht, sollen zeitweise die wichtigsten Bezugspersonen der Terrorzelle gewesen sein.

Die Ur-Fassungen des Videos der "DVD"-Frühliung waren um 2004 entstanden, als der "NSU" noch in der Zwickauer Polenzstraße wohnte. Hier soll André E. eindeutig von Nachbarn identifiziert worden sein als jemand, der oft zu Besuch kam. In den ersten Video-Versionen gibt es bereits eingerahmte Abblidungen einiger, vom NSU getöteter Ausländer. Andere Rahmen in diesem Video sind noch leer; dies deutet nach Ansicht der Ermittler darauf hin, dass es eine vom "NSU" aufwendig geplante und 2004 noch nicht vollendete Mordserie war. - Ist hier anzunehmen, dass André E. als einziger Videofachmann im engsten Bekanntenkreis der Untergetauchten nicht an der Erstellung des Videos mitgewirkt hat, überhaupt nichts von der Erstellung eines solchen Videos wusste? Aber auf Annahmen kann sich die Bundesanwaltschaft nicht stützen, sie braucht für eine Verurteilung handfeste Beweise.

Von den mehr als 500 mit den Ermittlungen beauftragten Polizeibeamten und Experten sollen etwa zwei Dutzend nur mit den Fragen rund um die beiden Fassungen des Bekennervideos befasst sein und man hört, es würden zur Anklageerhebung überraschende Ergebnisse präsentiert werden. So soll das BKA herausgefunden haben, dass der DVD-Titel "Frühling" nicht zufällig sondern unter Bezugnahme auf die Wohnung in der "Frühlingsstraße" entstanden ist.


Weiterhin heißt es, deutsche Ausgaben der Paulchen Panther Zeichentrick-DVDs gäbe es erst seit dem Jahre 2008 und für die "Frühling"-DVD sollen keine VHS-Videovorlagen Verwendung gefunden haben. Ebenso sei man bei der Frage, wer den rosaroten Panther als Trickfilmfigur in den "NSU"-Film einführte, auf plausible Indizien gestoßen. Das könnte André E. selbst gewesen sein, wie der Polizei von ehemaligen Kunden seiner Videothek berichtet worden ist. 

Aber noch etwas ist für die Ermittler zumindest seit Jahresbeginn von großer Wichtigkeit: Wie konnten "Gerry" Böhnhardt und "Max" Mundlos jahrelang ihr Image als "gutverdienende Grüne", die angeblich in den Firmen ihrer Eltern arbeiteten, aufrecht erhalten, ohne Geschäftsleute zu sein? Hat André E. mit seiner Solarzellen-Firma "AE Montageservice" hier als Unternehmer eine feste Rolle in der infamen Komödie des "NSU" gehabt? Woher stammt überhaupt das Geld für seine Geschäfte?

Auch ohne die Klärung solcher Fragen scheint für die Bundesanwaltschaft ein Trend inzwischen festzustehen: André E. könnte der lange vermutete 3. Mann des "Nationalsozialitischen Untergrunds" gewesen sein. Nach außen solider Geschäftsmann mit einem dunklen Innenleben, das er nicht nur auf seiner Internetseite "Cauput Mortuum" (= lat. für "Totenkopf") auslebte.

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